Oregon Project: So wurden die Ermittlungen behindert (2024)

Das Oregon Project wurde nach der Verurteilung seines Gründers Alberto Salazar letzten Monat eingestellt. Nun zeigt sich, wie schwierig die Arbeit der Ermittler war. Von verschiedenen Seiten wurde versucht, die Untersuchungen gegen die Lauftrainingsgruppe und ihr Umfeld zu torpedieren.

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Ist die Omertà einmal gebrochen, ist die Schleuse geöffnet. So auch im Oregon Project des US-Sportartikelgiganten Nike. Zweifel an dessen Redlichkeit bestanden schon lange, doch sowohl Alberto Salazar, der Gründer und Mastermind des Projekts, als auch Nike pflegten die Skepsis mit dem Neid der ohnmächtigen Konkurrenz zu begründen. Selbstverständlich gehe alles mit rechten Dingen zu, man sei allen andern wissenschaftlich bloss um Welten voraus.

Im Oktober, just während der Leichtathletik-WM in Katar, platzte dann die Bombe. Die US-amerikanische Anti-Doping-Agentur Usada sperrte den Chefcoach Salazar und seinen engsten Vertrauten, den Mediziner Jeffrey Brown, für vier Jahre. Ein US-Schiedsgericht hatte es als erwiesen angesehen, dass beide in den Jahren 2010 bis 2014 gegen die Anti-Doping-Regeln verstossen hatten. Salazar etwa verabreichte per Infusion unerlaubt hohe Dosen L-Carnitin (die Substanz beschleunigt die Fettverbrennung), seine Söhne liessen eine Testosteron-Crème testen, um herauszufinden, ab welcher Menge sie nachweisbar ist.

Die Beichte von Mary Cain

Seit Salazars Verurteilung brechen nun immer mehr Leute ihr Schweigen und berichten von den Methoden im Oregon Project. In einem vor wenigen Tagen veröffentlichten Video der «New York Times» erzählt Mary Cain, die einst als eines der grössten Lauftalente der Welt galt, wie Salazar mit ihr umgegangen sei: «Alberto hat ständig versucht, mich zum Abnehmen zu bewegen. Üblicherweise wog er mich vor meinen Teamkollegen und machte mich öffentlich schlecht, wenn ich nicht aufs von ihm bestimmte Gewicht kam. Er wollte mir Antibabypillen und Diuretika zum Abnehmen geben, auch solche, die in der Leichtathletik verboten sind.» Cain berichtet in diesem Interview, das unerbittliche Vorgehen beim Abnehmen habe zur Konsequenz gehabt, dass ihre Periode drei Jahre lang ausgesetzt und sie in der Folge insgesamt fünf Knochenbrüche erlitten habe. Am Ende habe sie über Suizid nachgedacht. Cains Vorwürfe werden inzwischen von einer ganzen Reihe ehemaliger Teammitglieder und Betreuer gestützt. Salazar bestreitet sie, gesteht aber ein, sich möglicherweise im Ton vergriffen zu haben.

Das im Oktober eingestellte Laufprojekt von Nike wirft aber zusehends noch weitere dunkle Schatten, denn nun wurden auch Vorwürfe gegen Pete Julian öffentlich, den Trainer von Konstanze Klosterhalfen. Das deutsche Riesentalent hatte sich im Hinblick auf diese Saison für das Oregon Project entschieden und deshalb die Heimat und seinen langjährigen Trainer verlassen. Letzten Sommer lief sie dann von Bestzeit zu Bestzeit, machte schier unfassbare Leistungssprünge. Die Ermittlungsakten der Usada legen jetzt nahe, dass Julian als Assistenztrainer des Oregon Project und Salazars Assistent weit stärker in dessen umstrittene Praktiken involviert sein könnte, als dies von den betroffenen Sportlern bisher dargestellt worden war. Julian hatte nach der Einstellung des Oregon Project mitgeteilt, er werde mit sieben ehemaligen Athleten des Teams weiterarbeiten, unter ihnen auch Klosterhalfen.

Verräterischer Mail-Verkehr

Aber auch Nike gerät immer mehr unter Beschuss. Wie Recherchen der ARD belegen, sollten Untersuchungen gegen das Oregon Project offenbar verhindert werden. Ein Rechtsanwalt aus dem Umfeld von Nike versuchte schon 2015, Ermittlungen gegen die Elite-Trainingsgruppe zu stoppen. Das belegt ein interner Mail-Austausch, der der ARD-Redaktion zugespielt wurde. Travis Tygart, der Chef der Usada, sagt, Nike habe es den Ermittlern so schwer wie nur möglich gemacht: «Als wir Fragen stellten zu Medikamenten, zu Dopingmitteln und zu Experimenten mit Testosteron, da ging die Zugbrücke nach oben. Sie setzten den Burggraben in Brand, liessen die Alligatoren los, postierten Scharfschützen auf allen Türmen, fest entschlossen, uns daran zu hindern, hereinzukommen. Es war ein harter Kampf.» Der Konzern weist diese Vorwürfe zurück.

Doch als die Usada-Untersuchungen gegen Salazar schon in vollem Gange waren, erhielt Scott Blackmun, der damalige Chef des Amerikanischen Olympischen Komitees (Usoc), eine E-Mail eines Rechtsanwalts aus dem Umfeld des Oregon Project, dessen Inhalt sich wie der Versuch liest, die Ermittlungen zu behindern. Die Usada solle sich «nicht einmischen in die Art und Weise, wie Athleten trainiert werden», heisst es im Schreiben. Und weiter: «Angesichts des grossen internationalen Drucks, dem wir uns bereits gegenübersehen, bin ich besonders besorgt. Wir brauchen keine Massnahmen auf eigenem Boden, die weitere Probleme verursachen.»

Von einem Protest seitens des Usoc gegen die vorliegenden Einschüchterungsversuche ist nichts bekannt. Sicher ist hingegen, dass Scott Blackmun den Mail-Verkehr an Craig Reedie weiterleitete, den Präsidenten der Welt-Anti-Doping-Agentur Wada. Aber als dieser von der ARD-Redaktion anlässlich der Welt-Anti-Doping-Konferenz vor zwei Wochen in Katowice gefragt wurde, ob er darüber informiert sei, dass aus dem Umfeld des Oregon Project versucht worden sei, in die Ermittlungen einzugreifen, verneinte er. Er habe persönlich keinerlei Kenntnis davon. Gemäss der ARD hat Reedie in diesem Punkt gelogen, hatte er sich doch mehrmals intern zum Sachverhalt geäussert und diesen unter anderem als «seltsam» bezeichnet.

Auch das Verhalten der Wada wirft also Fragen auf. Möglicherweise aber liegt ein Interessenkonflikt vor. Die Wada braucht für einen verschärften Anti-Doping-Kampf dringend zusätzliche Gelder und soll versuchen, grosse Konzerne als Partner zu gewinnen. Konzerne wie Nike.

Nike schliesst sein umstrittenes Oregon Project – der Imageschaden war zu gross Der Sportartikelhersteller reagiert auf die Dopingsperre des Trainers Alberto Salazar: Das Prestigeprojekt wird geschlossen.

Andreas Babst

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